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Frankfurt, Taunusanlage

Frankfurt, Taunusanlage

Sandip Shahs Städte sind alles andere als festgefügte steinerne Architektur. Sie kennen keine harten Konturen, erscheinen als energetisch hochgeladene Gebilde, bestehen aus Protuberanzen, Strömungen, starkfarbigen, organisch geformten Spots. Durch ihre grobteilige Schematisierung erinnern die zerfließenden Veduten und Snapshots zuweilen an elektronisch erzeugte oder modifizierte Darstellungen. Sie lassen beispielsweise an Infrarot-Bilder denken, an Echolot-Diagramme oder an stark nachbearbeitete, ‚verpixelte‘ Digitalfotografien.
Mit ihren pulsierenden, ausufernden Flächen porträtieren die Gemälde nicht das Äußere der Metropolen, sondern deren ‚innere‘ vielgestaltige Lebensenergien. Die Cities wirken wie ein ständiger Transit. Besonders deutlich wird das Moment des Flüchtigen bei Straßenszenen mit Passanten und dichtem Verkehr oder etwa bei Ansichten eines geschäftigen Hafens.
Der transitorische Charakter der schnellebigen Stadtlandschaften läßt sich auch aus dem Entstehungsprozeß der Gemälde erklären: Sandip Shah benutzt als bildnerische Vorlage Videos, die er im Bild sozusagen malerisch neu zusammenschneidet. Aus Film-Stills, die aufnahmetechnisch bedingt oft unscharf erscheinen, entwickelt er verwischte, verwirrende Stadt-Panoramen, die sich der schnellen Erfassung widersetzen. Die Stadt unterliegt einer visuellen ‚Unschärferelation’. Ihre weder zu bändigenden noch zu kalkulierenden Formen lassen sich auch symbolisch auslegen: Sie spielen möglicherweise an auf die vielzitierte Unübersichtlichkeit heutiger urbaner Gesellschaftssysteme, sind vielleicht
ein Zeichen für die Großstadt als Bühne unberechenbarer Paradoxien und einer Vielzahl von menschlichen und sozialen Realitäten.
Vielfach verarbeitet Sandip Shah in seinen Gemälden Videos, die von Überwachungskameras aufgezeichnet wurden. Die Herkunft der Spots verleiht den Städten im Bild eine vielschichtige Bedeutung: Die Observation im öffentlichen Raum dient der exakten Protokollierung. Überwachungsfilme nageln potentielle Täter, potentielle Opfer – und zufällige Passanten – auf Ewigkeit fest, sie schaffen eine zuweilen bedrückende Transparenz. Sandip Shah konterkariert dieses Programm. Er verunklärt die Bilder der allgegenwärtigen elektronischen Argusaugen. So überwindet die Kunst symbolisch die Überwachungsmaschinerie, die private Momente durchleuchtet und den heutigen Alltag in offener oder verborgener Weise bestimmt: Verweist die unkontrolliert scheinende Anhäufung von Kontrolldaten auf einen gleichermaßen ängstlichen wie übermächtigen Staat und auf einen unerschütterlichen Glauben an funktionstüchtige „Prävention“, symbolisiert die Kunst Sandip Shahs mit ihren Verfremdungen und Verunklärungen ein subversives visuelles Schreddern und Verfremden ausspionierter Ansichten.
Shah beschränkt sich nicht auf politisch verordnete Kontrollzwänge. Seine Kunst der Unschärfe und der Rückverwandlung von Information in organische Formen antwortet auch digitalen Allmachtsphantasien jenseits staatlicher Institutionen. So lassen einige Darstellungen aus der Vogelperspektive unmittelbar an Luftbilder aus der Datenbank von „Google Earth“ oder anderen kartographischen Internet-Projekten denken. Solchen Versuchen, den gesamten Globus ‚objektiv‘ zu inventarisieren, stellt Sandip Shah programmatisch eine handgemachte, subjektive, unkalkulierbare Kunst entgegen und untergräbt den allgegenwärtigen Fetisch von digitaler Weltbeherrschung.
Das Phänomen ‚lückenloser‘ Überwachung überdenkt Sandip Shah auch mit seinen multimedialen Installationen auf ironische Weise. Hier observieren Kameras Gemälde, die maskenhafte, schematisierte Physiognomien zeigen. Übertragen werden die Aufzeichnungen auf Monitore, die neben den Originalen aufgestellt sind. Im Zeitalter von biometrischem Paßbild, Retina-Fotografie und „Nacktscanner“ läßt Sandip Shah mit seinen malerisch bis zur Unkenntlichkeit entstellten Gesichtern das bekannte Muster von Beobachtung und permanenter eindeutiger Identifizierung symbolisch leerlaufen. Die Ausstrahlung von Interviews mit Persönlichkeiten aus dem Kulturbetrieb, die sich kritisch mit dem Phänomen der Überwachung auseinandersetzen, begleitet die Physiognomien, die sich der Erfassung ‚widersetzen‘.
Bei diesem Arrangement kommt der Kunst eine merkwürdige Doppelrolle zu: Einerseits erscheint sie in Gestalt der verfremdeten Porträts als Methode, sich der Überwachung durch ‚Verschleierung‘ zu entziehen. Andererseits wird sie durch die Kameras selbst zum observierten Objekt.
Genau diese Ambivalenz betrifft auch den Besucher der Installation. Er ist distanzierter Betrachter eines künstlerischen Originals und eines filmischen Abbild. Sobald er jedoch die Werke mustert, tritt er in die von Kameras überwachte Zone und steht selbst wiederum unter Beobachtung. Der Dialog mit dem Kunstwerk spiegelt so die Doppelrolle von handelndem Subjekt und ‚erfaßtem‘ Objekt, die heutzutage prinzipiell das Leben in den Städten bestimmt.
Mit der symbolträchtigen Verschleifung von Privatsphäre und allgegenwärtiger Überwachung experimentiert Sandip Shah seit vielen Jahren. Seine „Bewohnte Kunstinstallation“ in Darmstadt, ein auch als Wohnung genutzter Ausstellungsraum mit großem Schaufenster, verweist auf die existentielle Verbindung von Kunstwerk und Künstler. Gleichzeitig vermischt sie programmatisch Kunstbetrachtung und observierenden Voyeurismus. Mit der „bki“ vesetzt Sandip Shah die Kunst mitten ins städtische Leben und antwortet spöttisch auf die „Big Brother“- Mentalität unserer Tage. Genau diesen Grundgedanken greifen seine Stadtansichten und Installationen auf. Die Arbeiten mischen sich ein, sie überwachen „zurück“. Sie überlassen die mit der digitalen Überwachung der Welt neu entstandene Bilderflut nicht fraglos unsichtbaren Kontrolleuren, sondern nutzen sie, um mit ‚verrauschten‘ Bildern die Macht der multimedialen Erfassung von Welt ironisch auszuhebeln und die nötigen Freiheitsgrade einer Gesellschaft zu reflektieren.
(Text: Dr. Peter Joch, 2010)

 

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